Weiße Nächte und „Purpurrote Segel“ in St. Petersburg

Purpurrote Segel in St. Petersburg

Wenn man diese Überschrift liest, wird man gleich denken:

Weiße Nächte in St. Petersburg? Das ist bekannt, davon hat man schon gehört. Aber was soll es mit den purpurroten Segeln auf sich haben?
Es gibt hier einen sehr schönen und märchenhaften Zusammenhang.

 

Aber der Reihe nach:

 

St. Petersburg liegt etwa auf dem 60. Breitengrad und damit auf gleicher Höhe wie der südlichste Zipfel Grönlands. In dieser geografischen Lage sind lange, dunkle Nächte über viele Monate hinweg an der Tagesordnung. Entsprechend (zu) kurz sind die hellen Tagesabschnitte.

 

In der Sommerzeit wird die Bevölkerung dafür entschädigt. Ab Mai bis Juli geht die Sonne nur kurz bzw. gar nicht richtig unter. Sie verabschiedet sich am Tagesende gegen Mitternacht. Dabei wird es aber nicht richtig dunkel, sondern man kann ein silbrig weißes, magisches Licht erleben. Um ca. 2:00 Uhr geht die Sonne wieder auf.

 

Das sind die berühmten „Weißen Nächte“.
Sie versprühen ein besonderes Flair. Diese Zeitspanne ist für alle Bewohner und natürlich für die Gäste der Stadt eine ganz besondere. Es werden vielfältigste Aktivitäten geplant. Die Petersburger hungern förmlich nach dem Licht, dass sie so lange entbehren mussten. Es gibt eine kaum vorstellbare Anzahl an Konzerten und besonderen Events. Die Stadt ist in diesem Zeitraum lebendiger denn je.

 

Der absolute Höhepunkt aber ist in jedem Jahr das Fest „Die Purpurroten Segel“.
In der Regel wird es an dem Samstag, der am nächsten zur kürzesten Nacht des Jahres liegt, durchgeführt (2016 fand das Fest in der Nacht vom 25.06. auf den 26.06 statt). In der Nacht davor findet die Generalprobe statt.
Dieses Fest hat eine lange Tradition und wird stets von Tausenden besucht. Es ist die größte Feier von Schulabgängern in St. Petersburg. Der Schulabschluss wird generell in einem sehr großen Rahmen veranstaltet. Das Fest der Purpurroten Segel (man spricht oft auch „Die Scharlachroten Segel)“ ist das größte. Es gilt als Symbol wahr gewordener Träume, der Hoffnung und des Neuanfangs. Die Jugend soll unter vollen Segeln und mit Rückenwind in einen neuen Lebensabschnitt starten. Diese Symbolik hängt mit einer beliebten Erzählung zusammen, auf die hier später noch eingegangen wird.
Die aufwändig inszenierte Show wird regelmäßig vom russischen Fernsehen übertragen.
Das Zentrum des Spektakels liegt zunächst zwischen der Peter-Paul-Festung und der Eremitage, später am Ufer der Newa. Dort drängen sich die Menschen überall dicht an dicht. Es entsteht eine einmalige Atmosphäre, die Lebensfreude und Vitalität verströmt.
Am Abend finden ab 22:00 Uhr auf dem Schlossplatz und der Strelka (der Spitze) der Wassiljewski-Insel, Konzerte statt. Hier treten verschiedene Sänger und Musikgruppen auf. Dies ist ein musikalisches Highlight.

Die Musiker, die auf dem Schlossplatz ihr Bestes geben, wurden im Vorfeld durch Umfragen von den Petersburgern Schülern ausgewählt. Sie sind somit bei ihrem Publikum sehr beliebt und es kommt ordentlich Stimmung auf.
Das Event auf dem Schlossplatz findet für die Schulabgänger und ihre Gäste statt. Sie sind im Besitz von Eintrittskarten.

Das Konzert auf der Wassiljewski-Insel hingegen steht allen offen und ist kostenfrei. Auch hier ist die Stimmung bestens. Es singen oft Nachwuchskünstler. Artisten und Schauspieler aus dem Theater oder von Kleinkunstbühnen sowie Zirkusartisten geben eine Probe ihres Könnens ab.

Aber je weiter sich die Zeit Mitternacht nähert, desto mehr warten alle Besucher auf das unbestritten beste Erlebnis des Abends. Es ist das Einlaufen eines Zweimaster-Segelschiffes auf der Newa, das majestätisch mit purpurroten Segeln daherkommt. Dieses Schiff ist ein Nachbau einer schwedischen Brigg aus dem Jahre 1857.

 

Der Einlauf wird in jedem Jahr anders in Szene gesetzt und ist stets aufs Neue beeindruckend. Auch die dazugehörige live von einem Sinfonieorchester gespielte Musik wird jährlich neu komponiert. Der Musikstil orientiert sich dabei aber immer an einer bekannten Filmmusik (Die Kinder des KapitänGrant) von Isaak Dunajewski.
Gleichbleibend ist aber jeweils der Zeitpunkt, an dem die Brigg auftaucht. Punkt 0:40 Uhr beginnt die Fahrt, die nach 20 Minuten beendet ist. Flankiert wird die Einfahrt des Seglers von den beiden Rostrasäulen an der Wassiljewski-Insel. Die Säulen waren ursprünglich als Leuchttürme in Betrieb. Sie erzeugen an diesem Abend durch ihre zusätzliche Beleuchtung mit riesigen Fackeln eine besondere Lichtstimmung.

 

Diese wird nur noch durch ein farbenprächtiges Feuerwerk übertrumpft. Die brillante pyrotechnische Show begleitet die Fahrt des Schiffes eindrucksvoll und begeistert die Menschen.
Den Organisatoren und Planern gelingt es dabei stets aufs Neue, die Show so zu gestalten, dass sie von allen Seiten einsehbar ist. So kann man die Brillanz des Festes auf das Beste mit allen Facetten erleben.

Nun wird sich so Mancher fragen, warum auf dem Schiff purpurrote Segeln gehisst sind. In den folgenden Zeilen soll der eingangs erwähnte „märchenhafte Zusammenhang“ aufgezeigt werden.

Der Ursprung dieses tollen Festes liegt im großen russischen Märchenschatz begründet. Es gibt in Russland eine riesige Anzahl von Märchen, Sagen und Legenden. Oft wird man beim Lesen durch spannende und nebeneinander liegende Handlungsstränge gefesselt, die jedoch stets miteinander verwoben sind. Auf diese Weise werden nicht nur Kinder von den Mythen in ihren Bann gezogen.

Ganz im Sinne dieser Erzähl- Tradition schrieb Alexander Grin (1880-1932) seine Geschichte „Das Purpursegel“, welche die Vorlage für das Fest „Die purpurroten Segel“ bildet.

Nachfolgend soll diese in einer Kurzform vorgestellt werden.

Das Purpursegel“

Es war einmal ein Mädchen namens Assol.
Assol lebte als Baby gemeinsam mit ihrer Mutter in einem kleinen Fischerdorf in großer Armut. Ihr Vater war der Seemann Longgreen, der eine lange Zeit nicht daheim war. Man nahm deshalb an, dass er verstorben sei. Doch er konnte in sein Dorf zurückkehren. Dort fand er seine 3 Monate alte Tochter bei der Nachbarin vor. Seine Frau verstarb an den Folgen von Not und Krankheit.


Longgreen erkannte, dass er nicht mehr zur See fahren konnte. Er kümmerte sich von nun an um seine Tochter. Um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, wurde er Spielzeugmacher. Er fertigte auch kleine Holzsegelboote, die er auf dem Markt verkaufte. So sicherte er sich und seinem Kind mehr schlecht als recht den Lebensunterhalt.


Assol aber wuchs wohl behütet auf und entwickelte sich zu einem hübschen, liebenswerten Mädchen. Sie unterstützte ihren Vater so gut es ihr möglich war.
Eines Tages ging sie mit einigen Holzbooten zum Markt. Unterwegs setzte sie ein besonders schönes Boot mit roten Segeln ins Wasser. Das Boot trieb fort und Assol folgte ihm eilig, um es nicht zu verlieren.

 

Das Segelschiff wurde von dem alten Märchenerzähler Egl aus dem Wasser gefischt. Als Assol auf ihn traf, erzählte er ihr eine wunderbare Geschichte, an die das schöne Mädchen fortan glaubte.


Er prophezeite ihr, dass eines Tages ein großes weißes Segelboot mit purpurnen Segeltuch auftauchen würde. Auf diesem Boot sollte ein junger Prinz der Kapitän sein, der sich in sie verlieben würde und sie zu seiner Frau nimmt.

Assol entwickelte sich zu einer liebreizenden jungen Frau. Sie lebte weiterhin mit ihrem Vater zusammen. Aber sie dachte auch immerfort an die Geschichte, die ihr der alte Egl erzählt hatte. Sie war davon überzeugt, dass ihre Zukunft auf diese Art und Weise wirklich wahr werden würde.
Die Dorfbewohner hielten sie deshalb für wunderlich und belächelten sie.

Zur gleichen Zeit wuchs in einem weit entfernten Schloss der junge Graf Arthur heran.
Er liebte Piratengeschichten, die Seefahrt und Schiffe. Er wollte Abenteuer auf See erleben. In seinem Elternhaus war man von diesem Drang wenig begeistert. Die Vorliebe für die Seefahrt aber blieb ihm auch dann noch erhalten, als der junge Graf das Erwachsenenalter erreicht hatte. Er sagte sich von seinem Vater los und wurde gegen den Willen seiner Eltern Seemann. Er war tüchtig und wissbegierig, so dass er bald auf seinem eigenen Schiff als Kapitän navigieren konnte.

 

Nun trug es sich zu, dass er auch in der Nähe des Fischerdorfes anlegte und genau dort an Land ging, wo Assol lebte.
Assol hielt sich gerade am Ufer auf. Sie hatte sich ins Gras gelegt und war eingeschlafen.
Graf Arthur entdeckte sie und war von ihrer Schönheit hingerissen. Er verliebte sich auf der Stelle in die hübsche junge Frau und stecke ihr unbemerkt einen Ring an den Finger. Dann machte er sich von dannen. Assol erwachte kurz darauf und fand den Ring an ihrer Hand.
Sie sah ihn als gutes Zeichen an.

Arthur aber ging ins Dorf und erkundigte sich nach der anmutigen Maid.
Er erfuhr von den Bewohnern ihre Geschichte. Er hörte auch, dass sie an einen jungen Prinzen glaube, der sie eines Tages mit einem Schiff, welches unter purpurroten Segeln fuhr, abholen würde.


Das gefiel dem jungen Grafen. Er wollte dieses Märchen für Assol wahr werden lassen.
Er kaufte eine große Menge rotes Segeltuch und stattete sein Schiff damit aus.
So ausgerüstet stach er wieder See und fuhr zurück. Bald darauf wurde das Schiff mit seinen roten Segeln von den Dorfbewohnern erspäht und auch Assol erreichte die Nachricht von der Ankunft schnell.


Sie lief ans Ufer. Hier wurde sie alsbald vom Boot des Grafen abgeholt, welches sie aufs Schiff brachte. Sie lernte Arthur kennen, der ihr seine Liebe gestand und um ihre Hand anhielt. Die beiden wurden ein Paar und lebten fortan glücklich zusammen. Perfekt wurde Assols Glück zusätzlich noch, weil ihr Vater mit ihr gehen konnte.

Diese Geschichte ist im Land immer noch sehr beliebt. Das kann man unschwer am Fest „ Die purpurroten Segel“ sehen. Sie strahlt Hoffnung aus und gibt dem Glauben Nahrung, dass Träume wahr werden können und sich daraus neue und gute Lebensabschnitte entwickeln.

Die Erlebnisse rund um das Mädchen Assol wurden übrigens bereits im Jahre 1961 verfilmt und auch ins Deutsche synchronisiert.
Der Film berührte gleichermaßen die Herzen der Zuschauer in Ost- und Westdeutschland.
Er kann selbst heute noch auf DVD als „Russischer Märchenklassiker“ erworben werden.

Abschließend noch ein Tipp für alle, die das Fest besuchen können:

Wünschen Sie sich etwas, wenn die Brigg mit den purpurroten Segeln einläuft! Dies ist so üblich. Denn Sie wissen ja jetzt: Dieses Schiff symbolisiert Hoffnung und verspricht wahr werdende Träume...

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Kommentare: 5
  • #1

    Sabisch, Arnold (Dienstag, 03 Januar 2017 12:40)

    Ein großartiges Ereignis! Wann findet das Event 2017 statt? Am 18. oder 24. Juni?

  • #2

    Fred Schmittat (Dienstag, 03 Januar 2017 19:36)

    In diesem Jahr, finden diese Feierlichkeiten am 23.06.2017 statt.

  • #3

    Patrick (Sonntag, 26 März 2017 14:19)

    Gibt es schon ein Datum für dieses Jahr? 24.06.2017?

  • #4

    Fred Schmittat (Sonntag, 26 März 2017 21:00)

    Hallo Patrick,

    hier der offizielle Link der Stadt Sankt Petersburg, mit alle Feiertagen für das Jahr 2017.
    https://gov.spb.ru/helper/culture/prazdniki-daty/
    Mit dem folgenden Eintrag:
    Праздник выпускников петербургских школ "Алые паруса" - последняя декада июня
    Die letzte Dekade im Juni bedeutet, das Fest findet in den letzten 10 Tagen des Monats Juni statt. Im Moment haben wir nur diese Informationen.

  • #5

    Fred Schmittat (Dienstag, 17 August 2021 17:47)

    In diesem Jahr, hatten wir das Fest der roten Segel am 26.06.2021.